Papa, ich hab da mal eine Frage
Im Philosophie-Unterricht in Joshs 6. Klasse wurde das Thema Einwanderung behandelt. Als er nach Hause kam, fragte er mich, wie das Thema denn aus gewaltfreier Sicht gesehen wird. Josh sieht sich übrigens auch als Anarchist: Er findet Schulpflicht und Erziehung doof.

Ich habe ihm in meinem radikal-pointierten Stil zuerst erklärt, dass es aus meiner Sicht grob vereinfacht drei nicht-anarchistische Positionen gibt.
1. Nationale Sozialisten fordern:
— alle Einwanderer abschieben
— keine neuen Einwanderer reinlassen
— Mauer bauen
— Deutschland den Deutschen
2. Internationale Sozialisten fordern:
— Alle Einwanderer aufnehmen, legalisieren und Vielfalt stärken
— Nazis ausgrenzen
— Entwicklungshilfe beibehalten oder erhöhen
— Integrationskosten und Sozialleistungen trägt der Steuerzahler
3. Demokratische Sozialisten fordern:
— Bestehendes deutsches und EU-Recht anwenden
— pol. Flüchtlinge aufnehmen, Wirtschaftsflüchtlinge abschieben
— beschleunigte Asyl-Verfahren und schnellere Abschiebung
— Alle EU-Länder nehmen fairen Anteil an Flüchtlingen auf
Eine gewaltfreie Haltung würdigt zunächst alle drei Positionen, denn alle teilen die Bedürfnisse von Sicherheit, Frieden und Wohlstand. Es gibt lediglich Differenzen bei den Strategien, diese Bedürfnisse zu befriedigen.
Leider ist bei allen drei Strategien Gewalt im Spiel und praktisch immer, wenn man in das freiwillige Kooperieren und Tauschen der Menschen gewaltvoll eingreift, werden Folge-Interventionen nötig und es entsteht eine Interventionsspirale der Gewalt. Diese Erkenntnis ist unter dem Namen Ölflecktheorem bekannt:
(Solltet ihr das nicht kennen, empfehle ich vor dem Weiterlesen zumindest das Beispiel mit den Mietpreisen in dem verlinkten Wikipedia-Eintrag zu lesen.)
Wenn man in dieser Spirale nun schon ein paar Umdrehungen hinter sich hat, gibt es meist keine schnelle Lösung mehr. Die Spirale muss ganz zurück gedreht werden. Also: Wie sähe eine Gesellschaft ohne Gewalt aus und wie würde man da mit Flüchtlingen umgehen?
In einer herrschaftsfreien Gesellschaft ohne Gewaltmonopol und ohne legale, initiierende Gewalt entfallen mit dem Staat auch die Staatsgrenzen. Es kann also niemand von einer zentralen Instanz ausgeschlossen werden. Wenn ich in meiner Wohnung einen Flüchtling aufnehmen möchte, dann braucht er kein Visum oder ähnliches. In dieser Gesellschaft entfallen jedoch nicht nur die Staatsgrenzen, sondern es entfällt auch die erzwungene Solidarität. Es gibt keine Umverteilung mehr mit der Waffe. Niemand kann also Hilfe fordern, sondern nur darum bitten. Durch den Wegfall aller Zwangsabgaben haben die Menschen dann allerdings viel mehr Spielraum für freiwillige Hilfe. Wie groß die freiwillige Hilfe und die intrinsische Solidarität jetzt schon ist, kann man überall im Internet sehen.
In einer herrschaftsfreien Gesellschaft wäre sämtlicher Grund und Boden in Privatbesitz. Wer irgendwo einreisen möchte, bräuchte dafür die Erlaubnis des jeweiligen Eigentümers. Wer bleiben möchte, der wäre gezwungen sich den notwendigen Wohnraum zu kaufen oder zu mieten. Auf eigene Kosten selbstverständlich
Die Gegend sähe genauso aus wie heute: Es gäbe Straßen und Wälder, Parks und Einkaufszentren. Ja, es wäre alles in Privatbesitz. Aber das würde in der Praxis nicht so viel ändern: Auch heute kann niemand durch Privathäuser und deren Vorgärten spazieren oder über die Grundstücke von Firmen. Die Straßen wären aber sicher für jedermann offen. Klar, man muss was bezahlen: Heute in Form von Mineralölsteuer, KfZ-Steuer etc — in der Privatrechtsgesellschaft würde man dann wahrscheinlich eine Maut bezahlen und könnte dafür viel billiger tanken und die KfZ-Steuer entfiele. Besitzer von Parks würden wahrscheinlich den Eintritt kostenlos machen und dafür Gaststätten auf dem Gelände betreiben. Einkaufszentren würden auch jedem offen stehen, denn man will ja etwas verkaufen. Bahnhöfe, Flughäfen etc. wären sich auch für jedermann offen.
Aber ja, du hast schon recht: Das Leben wäre grundsätzlich auf eigene Kosten und nicht mehr auf Kosten des Steuerzahlers. Mit dem Geld, was die Schlepper heute kassieren, nur weil die Einreise illegal ist, käme man aber in einer Privatrechtsgesellschaft schon sehr weit und Arbeitslosigkeit gäbe es auch nicht.
„Das Leben wäre grundsätzlich auf eigene Kosten und nicht mehr auf Kosten des Steuerzahlers. „
Auf eigene Kosten können die „Migranten!“ aber auch zu Hause bleiben. Da sparen sie die Reisekosten und das Wetter ist auch meistens besser.
„Die Straßen wären aber sicher für jedermann offen. „
Für Taschendiebe und Sittenstrolche wahrscheinlich nicht, schon in Interesse der zahlenden Kundschaft nicht.
„Einkaufszentren würden auch jedem offen stehen…..Bahnhöfe, Flughäfen etc. wären sich auch für jedermann offen“
Außer potentiellen Ladendieben, Schnorrern,Hütchenspielern und Taschedieben, möglicherweise.